Stellungnahme zur Lernergebnisorientierung

März 2020

Die unterzeichnenden Mathematikerinnen und Mathematiker der TU Wien wenden sich aus aktuellem Anlass mit dem folgenden Anliegen an die Universitätsleitung.

Die neuerdings im Rahmen der „Lernergebnisorientierung“ eingeführten sprachlichen Empfehlungen/Vorschriften für die Beschreibung von Lehrveranstaltungen in TISS sind für uns nur in geringem Umfang sinnvoll umsetzbar. Auch sind die uns für die Wortwahl vorgeschlagenen Einschränkungen wie „schwache Verben vermeiden“ und in besonderem Maß die Empfehlung/Vorschrift, auf das Wort „verstehen“ zu verzichten, von unserem Standpunkt aus abzulehnen. Sie laufen auf eine sinnentstellende Verkürzung dessen hinaus, was universitäre Lehre (zumindest) im Fach Mathematik zu leisten hat.

Das zentrale Ziel der Lehre – und damit auch das aus Sicht der Studierenden primär anzustrebende Lernergebnis – besteht darin, dass sich die Studierenden breites Wissen erschließen sowie ein vertieftes Verständnis ihres Fachs und eine wissenschaftliche Kultur erarbeiten. Dies gilt umso mehr für die Mathematik, deren Inhalt ja vielfach aus komplexen Zusammenhängen zwischen abstrakten Begriffen besteht. Der vorgeschriebene Halbsatz: „Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Studierende in der Lage,...“ verschleiert, dass Wissen und Verständnis das übergeordnete Ziel bleiben müssen.

Die Fähigkeit, das erworbene Wissen anzuwenden, ist eine Konsequenz eines gründlichen Verständnisses und wohl ein wichtiges Anliegen neben noch wichtigeren, nicht jedoch das primäre Ziel einer an Grundlagen und Forschung orientierten Lehre. Würde die Lernergebnisorientierung, so wie sie uns kommuniziert wurde, umfassend umgesetzt (und das nicht nur bei der Beschreibung der Lehre), unterstützte sie ein „teaching to the test“, eine Orientierung auf den Erwerb von einigen wenigen Kompetenzen. Ein Verzicht auf den vor allem in der Mathematik so wichtigen Erwerb von Verständnis wird dem Anspruch einer Universität nicht gerecht.

Um die resultierende Diskrepanz zwischen Vorgaben und sinnhaften Möglichkeiten zu vermeiden, appellieren wir an die Verantwortlichen, von den erwähnten sprachlichen Maßregelungen Abstand zu nehmen. Man möge uns Wissenschaftler_innen und Hochschullehrer_innen vertrauen, dass wir selber wissen und auch formulieren können, worauf es in unseren Fächern und Lehrveranstaltungen ankommt.

Die Initiatoren: M. Baaz, M. Goldstern, S. Hetzl, R. Winkler

Die Unterzeichner:

  1. F. Achleitner
  2. A. Arnold
  3. W. Auzinger
  4. M. Baaz
  5. M. Behrisch
  6. M. Blümlinger
  7. E. Bura
  8. E. Davoli
  9. G. Di Fratta
  10. G. Dorfer
  11. D. Dorninger
  12. M. Drmota
  13. G. Eigenthaler
  14. M. Faustmann
  15. M. Feischl
  16. K. Felsenstein
  17. E. Fokina
  18. A. Fürnkranz-Prskawetz
  19. E. Gasteiger
  20. S. Gerhold
  21. B. Gittenberger
  22. M. Goldstern
  23. P. Grandits
  24. K. Grill
  25. G. Hasibeder
  26. H. Havlicek
  27. C. Heitzinger
  28. W. Herfort
  29. U. Hertrich-Jeromin
  30. S. Hetzl
  31. F. Hubalek
  32. I. Izmestiev
  33. A. Jüngel
  34. M. Kaltenbäck
  35. G. Karigl
  36. J. Kellner
  37. R. Kovacevic
  38. M. Kronfellner
  39. T. Levajkovic
  40. B. Loridant
  41. M. Ludwig
  42. F. Manhart
  43. G. Maresch
  44. J. Melenk
  45. M. Messer
  46. C. Müller
  47. C. Müllner
  48. L. Nannen
  49. A. Panholzer
  50. M. Peternell
  51. M. Pinsker
  52. D. Praetorius
  53. T. Rheinländer
  54. M. Rubey
  55. W. Scherrer
  56. U. Schmock
  57. U. Schneider
  58. J. Schöberl
  59. G. Schranz-Kirlinger
  60. F. Schuster
  61. N. Siassi
  62. H. Stachel
  63. K. Sturm
  64. P. Szmolyan
  65. D. Temesvari
  66. F. Toninelli
  67. V. Veliov
  68. E. Weinmüller
  69. R. Winkler
  70. H. Woracek

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